Denn so kreuzunglücklich sie sich im Solitär auch fühlt, nach Nowosibirsk will sie auf keinen Fall, schon gar nicht mit Zwang. Sie träumt zwar davon, irgendwann zurückzukehren, später, mit einer Taille, dezent geschminkt, mit einem Koffer voller schicker Klamotten und idealerweise untergehakt bei einem Deutschen mit akkuratem Schnurrbart. Nett und reich soll er sein und vor allem Russisch können, denn dieses Deutsch, sagt Maria, ist schlimmer als Chinesisch (als ob sie das könnte).
…
„Selbst Miele produziert seine Staubsauger inzwischen in Asien“, sage ich.
„Miele? Nie im Leben!“
„Doch. Vielleicht nicht die ganzen Staubsauger, sondern irgendwelche Ersatzteile. Irgendwas. Und zwar in China. Habe ich mal gelesen.“
„Scheiße.“ …
„Genau. In zwanzig Jahren gibt es uns nicht mehr.“
„Furchtbar“, sage ich. „Wen gibt es dann?“
„Die Chinesen und die Türken“, sagt er und greift sich eine weitere Haarsträhne. …
„Du magst sie nicht, oder?“ frage ich einfühlsam und streich mir das Haar hinter die Ohren, bevor er sich noch mehr davon zwischen seine Finger schnappt. „Die Chinesen, die Türken und anderes asoziales Pack?“
„Pfft“, sagt er. „Wenn wir an die Macht kommen, können die was erleben.“
„Wer sind wir?“ frage ich müde. Eigentlich ahne ich es schon. …
Ich möchte auf irgendwas hinaus, was mehr mit mir zu tun hat.
„Die Russen sind schlimmer als die Chinesen, oder?“ frage ich den rot leuchtenden Himmel über uns, als mein Student kurz innehält.
„Die Russen? Pah. Die waren mal schlimm. Jetzt kann man die vergessen. …“
Alina Bronsky: Scherbenpark (2008, 2009), Kiepenheuer & Witsch